14 Nov Stress als Ursache für Nahrungsmittel-Intoleranzen & Allergien
Flucht oder Kampf? Diese Frage hat sich für den Menschen so häufig gestellt, dass er gelernt hat, seinen Stoffwechsel innerhalb von Sekunden darauf einzustellen. Doch diese ursprünglich lebensrettende Reaktion unseres Körpers wird uns heute zum Verhängnis.
Denn die in Gefahrensituationen mobilisierte Stoffwechselaktivität wird in der modernen Industriegesellschaft nicht mehr abgebaut. Kampf und Flucht fehlen. Der Auslöser verschwindet, die Anspannung bleibt. Mögliche Stressoren sind zwar weniger lebensbedrohlich geworden, aber dafür omnipräsent. Allen voran der eigene hohe Anspruch. Wenn sich Stress zu einem chronischen Zustand entwickelt, verfestigt sich eine Stoffwechsellage, die einst unser Leben retten sollte und es nunmehr bedroht.
Langanhaltender Stress belastet alle Organe. Unser Verdauungssystem leidet jedoch in besonders hohem Maß darunter. Denn anders als Gehirn, Herz, Leber oder Nieren gehört es nicht zu den sogenannten Schockorganen, die im Versorgungsanspruch an erster Stelle stehen. Die daraus resultierende Unterversorgung führt nicht nur zu einer Schwächung der Verdauungsorgane, sondern auch des Immunsystems, das sich zu 80% in unserem Darm befindet. So wird der Entstehung von Nahrungsmittelintoleranzen und Allergien Tür und Tor geöffnet.
Verdauungsorgane werden gedrosselt
Unser Körper wird von zwei Nervensystemen reguliert. Dem Parasympathikus und dem Sympathikus. Das parasympathische Nervensystem herrscht in Phasen der Entspannung („rest and digest“ = Ruhe und Verdauung), das sympathische Nervensystem hingegen in Zeiten erhöhter Anspannung und Stress („fight and flight“ = Kampf und Flucht)
In Phasen der Entspannung findet unsere Verdauung – wie die Bezeichnung „rest & digest“ es bereits vermuten lässt – reibungslos statt. Der Magen-Darm-Trakt wird ausreichend durchblutet, Magensäure und Verdauungsenzyme bei Bedarf produziert und abgegeben. Unser Immunsystem ist aktiv und der Organismus vollzieht notwendige Reparaturarbeiten z.B. an einer beschädigter Darmschleimhaut.
In Stresssituationen verändert sich der Stoffwechsel. Unser Gehirn gibt über den Hypothalamus an die Hypophyse und diese wiederum an die Nebenniere das Signal, dass der Körper sich im „Kampf & Flucht“ Modus („fight & flight“) befindet. Die Nebenniere schüttet daraufhin u.a. Cortisol aus. Ein Stresshormon, für das beinahe jede Körperzelle Rezeptoren aufweist. Der gesamte Organismus kann auf diesem Weg blitzschnell auf die veränderte Situation reagieren. Alle nicht akut überlebenswichtigen Funktionen wie die Verdauung werden unterdrückt. Das Blut aus Magen und Darm wird abgezogen und vorrangig in die Muskulatur, Herz und Lunge gepumpt. Die Bildung von Magensäure, Speichel und Verdauungsenzymen wird gedrosselt. Die Verdauung pausiert.
Bausteine für Verdauungsenzyme fehlen
Die herabgesetzte Leistung aller Verdauungsorgane führt dazu, dass die Nahrung nicht ausreichend aufgespalten wird. Wichtige Nährstoffe wie Vitamine, Mineralien, essentielle Fettsäuren oder Antioxidantien bleiben im Nahrungsbrei gebunden und können nicht über die Dünndarmschleimhaut resorbiert werden.
Gleichzeitig gehen Nährstoffe vermehrt verloren, da sie aufgrund der im „Kampf & Flucht“ Modus herabgesetzten Nierenfunktion über den Urin ausgeschieden und durch den erhöhten Stoffwechsel verbraucht werden.
Fehlen wichtige Bausteine für die Bildung von Verdauungsenzymen wie beispielsweise Mangan für die Bildung des Histamin abbauenden Enzyms Diaminoxidase (DAO), kann Histamin nicht ausreichend abgebaut werden. Einer der vielen Gründe für die Entstehung einer Histaminintoleranz.
Fructose gelangt über sogenannte Transportsysteme (GLUT-5 und GLUT-2) aus dem Darm in die Blutbahn. Ein enzymatischer Prozess und die Notwendigkeit vorhandener Bausubstanzen erscheint hier nur auf den ersten Moment nicht von Nöten. Denn Fructose ist für den Körper nicht verwertbar. Sie muss von der Leber in Glucose umgewandelt werden. Hierfür ist wiederum ein Enzym verantwortlich, das zinkabhängig ist. Steht dem Organismus nicht ausreichend Zink zur Verfügung, sammelt sich Fructose im Organismus an und kann zu vielen verschiedenen gesundheitlichen Beschwerden führen.
Gedrosselte Verdauung verändert Darmflora (Dysbiose)
Unverdaute Nahrungsbestandteile gelangen weiter in den Dickdarm, wo sie von den Darmbakterien mittels Fermentierung (Abbau von Kohlenhydraten) oder Fäulnis (Abbau von Proteinen) „verdaut“ werden. Dies kann die Vermehrung pathogener Keime bis hin zu einer krankhaft veränderten Darmflora begünstigen.
Pathogene Keime bilden im Zuge der Fermentierung und Fäulnis neben Gasen (Blähungen) auch toxische Stoffe (sogenannte Stoffwechselendprodukte), die die Darmschleimhaut beschädigen und Entzündungen auslösen.
Einige Teile der Darmflora bilden selbst Histamin. Vermehren sich diese Keime, kann die Verträglichkeit von zusätzlichem Histamin über die Nahrung reduziert sein.
Darmschleimhaut wird geschädigt
Die gesunde Darmflora (Symbiose) hilft nicht nur bei der Verdauung. Sie schützt und versorgt ebenfalls die Darmschleimhaut. Ist die Darmflora nicht in der Balance, ist auch die Schleimhaut nicht ausreichend geschützt. Dies macht sie noch verwundbarer für toxische Stoffwechselendprodukte. Sie wird durchlässig (Leaky-Gut-Syndrom), wodurch größere Nahrungsbestandteile in die Blutbahn gelangen und Allergien (Antikörperbildung) gegen eingedrungene Fremdeiweiße auslösen können.
Die toxische Stoffwechselendprodukte werden großteils über die Darmschleimhaut resorbiert und von der Leber abgebaut. Ist diese überlastet, akkumulieren sich die Toxine im Organismus und richten weiteren Schaden an.
Herabgesetzte Produktion von Verdauungsenzymen
Auch die Produktion von Enzymen wie die DAO (Abbau von Histamin in der Nahrung), Laktase (Abbau von Laktose in der Milch) oder auch die Transporter für Fructose sind in der Darmschleimhaut lokalisiert. Ist die Darmschleimhaut nicht intakt, wird auch die Funktion dieser Mechanismen weiter beeinträchtigt.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Produktion dieser Enzyme in Zeiten erhöhter Anspannung bereits aufgrund fehlender Baustoffe und der allgemeinen Unterdrückung der Verdauungsorgane massiv geschwächt sind, verwundert es kaum, dass der ein oder andere Organismus mit der Verdauung von gewissen Nahrungsbestandteilen an seine Belastbarkeitsgrenze gelangt.
Lebensmittelintoleranzen treten oftmals gleichzeitig oder dicht gefolgt voneinander auf. Der simple Grund: alle Transport bzw. Produktionsstätten relevanter Enzyme sind im Darm lokalisiert. Ist der Darm bzw. die Darmschleimhaut nicht in der Balance, ist auch der Abbau gestört.
Geschwächte Immunabwehr neigt zu Allergien
Das Immunsystem ist zu 80% in der Darmschleimhaut ansässig. Ist die Darmschleimhaut nicht intakt, sind auch große Bereiche des Immunsystems davon betroffen.
Sowohl akuter als auch lang anhaltender Stress verändern die Arbeit des Immunsystems.
In Phasen akuten Stresses bereitet sich der Körper darauf vor, mögliche Verletzungen schnell zu heilen. Dazu wird die unspezifische Immunabwehr gesteigert und die spezifische Abwehr unterdrückt.
Langfristige Belastungen unterdrücken das Immunsystem insgesamt, d.h. sowohl die unspezifische als auch die spezifische Abwehr werden gedrosselt.
Ein chronisch geschwächtes und irritiertes Immunsystem neigt nicht nur verstärkt zur Allergiebildung sondern auch zur Entwicklung autoimmuneller Prozesse. Autoimmunelle Erkrankungen der Barriereorgane Darmschleimhaut- und Haut sind u.a. Zöliaki, Colitis ulcerosa, Schuppenflechte oder kreisrunder Haarausfall.
Cortisol verhindert Reparatur an Darmschleimhaut
Darüber hinaus aktiviert Cortisol katabole (= abbauende) Stoffwechselvorgänge. Die Reparatur stressbedingter Schleimhautschäden erfolgt allerdings nur in der anabolen (=aufbauende) Stoffwechsellage. Anhaltender Stress führt somit nicht nur zu einer Schädigung der Darmschleimhautzellen, sondern verzögert zusätzlich deren Regeneration.
Beschleunigte Magen-Darm-Passage
Stress kann die Passage des Verdauungstraktes beschleunigen und zu Durchfällen führen. Angst- oder Prüfungssituationen sind hierfür typisch. Dieser Umstand führt zu weniger Kontakt des Nahrungsbreis mit der Dünndarmschleimhaut. Wichtige Nährstoffe, aber auch Fructose können dadurch schlechter über die GLUT-5 bzw. GLUT-2 Transporter resorbiert werden.
Die nicht resorbierten Nahrungsbestandteile führen im Dickdarm über die bakterielle Zersetzung zur Gas- und Toxinbildung. Die Darmschleimhaut wird weiter zerstört und die Leber belastet. Aufsteigende Gase können das Risiko einer Dünndarmfehlbesiedelung erhöhen.
Stress verstärkt Verlangen nach Süßigkeiten & Fast Food
In Stresssituationen greift der Mensch verstärkt zu einfachen Kohlenhydraten und Zucker. Auch das Verlangen nach Fett steigt. Die einfache Begründung: der Körper benötigt zum Überleben schnell verfügbare Energiequellen und Reserven.
Aus diesem Grund sind Fast Food & Süßigkeiten beliebte Snacks in hektischen Zeiten. Doch der Konsum von zuckerhaltigen Speisen und industriell verarbeiteten Fetten schwächen den ohnehin schon angeschlagenen Magen-Darm-Trakt zusätzlich. Essentielle Nährstoffe und Bausteine für Verdauungsenzyme werden nicht zugeführt. Künstliche Zusatzstoffe irritieren den Darm und belasten die Leber. Verarbeitete Lebensmittel sind für den Organismus schlechter verwertbar und füttern wiederum die schlechten Darmbakterien. Die Entwicklung einer Dysbiose und Schwächung der Darmbarriere mit all ihren Folgen sind die Konsequenz.
Stress führt zu Übergewicht am Bauch & Entzündungen
Überschüssige Energie aus ungesunden Snacks führt obendrein zur Gewichtszunahme. Auch die Nebenniere steuert ihren Teil zur Bildung von Fettdepots bei. Denn Cortisol mobilisiert Zucker in den Blutkreislauf. Energie, die für den anstehenden Kampf bzw. die Flucht benötigt werden könnte. Fehlt die Bewegung, wird der zur Verfügung gestellte Blutzucker in Fett umgewandelt.
Fett, das sich im Bauchraum um unsere Organe bildet, ist besonders kritisch. Das sogenannte Viszeralfett ist sehr stoffwechselaktiv und bildet ein giftiges Stoffgemisch aus Hormonen und Entzündungsbotenstoffen, die den gesamten Stoffwechsel negativ beeinflussen. Studien belegen, dass Stress die Bildung von Viszeralfett beschleunigt. Das ist auch der Grund, weshalb sehr schlanke Menschen einen kleinen Bauch haben können.
Viszeralfett erhöht das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch eine negative Wirkung auf unsere Verdauungsorgane und damit auf die weitere Entstehung von Lebensmittelunverträglichkeiten wird vermutet.
FAZIT
Es gibt viele verschiedene Ursachen für die Entstehung von Nahrungsmittelintoleranzen und Allergien. Negativer, langanhaltender Stress ist ein wichtiger Treiber. Deshalb ist der veränderte Umgang mit Stressoren ein so essentieller, wenn auch oftmals unterschätzter Hebel, wenn es darum geht, die Verträglichkeit von Lebensmitteln zu verbessern. Denn chronischer Stress wirkt verheerend auf unsere Verdauung.
Neben den üblichen Empfehlungen zum Thema Stressmanagement, wie Bewegung, Schlaf, Meditation etc., ist ein besonderes Augenmerk auf unsere Gedanken und Wertemuster zu legen. Der Körper reagiert auf Stress immer gleich. Er unterscheidet nicht, ob wir dem Säbelzahntiger gegenüberstehen oder nur in der Perfektionsfalle gefangen dem nächsten Termin nachjagen. Allein unsere subjektive Wahrnehmung der Situation kann den Unterschied herbeiführen. Denn sie entscheidet am Ende, ob unser Gehirn der Hypophyse den Befehl gibt, den Körper in Alarm zu versetzen oder stattdessen die Lunge bemüht, ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen, und den Sturm (zur Abwechslung mal) an sich vorbeiziehen zu lassen.